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Nazi-Zeit und die eigene Familiengeschichte ?!

Koffer der Opfer aus Ausschwitz Birkenau
Datum:
10. Nov. 2025
Von:
Rainer Stuhlträger

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung glaubt inzwischen, dass ihre Vorfahren während der NS-Zeit im Widerstand waren.

Die historische Forschung geht dagegen von 0,6 Prozent aus. Schon kurz nach Ende des  Zweiten Weltkrieges sahen sich die Deutschen mehrheitlich als Opfer statt als Täter. Flucht und Vertreibung und die Bombardierungen der Alliierten am Kriegsende prägen den Diskurs bis heute und werden losgelöst von den Ursachen, dem Überfall der Deutschen auf ihre Nachbarn thematisiert und damit entkontextualisiert. Nicht thematisiert werden dagegen die Rolle der eigenen Familienangehörigen an der Entstehung der NS-Diktatur, ihr Schweigen, ihr Nichthandeln bzw. ihre Beteiligung an Ausgrenzung, Gewalt bis hin zu Ermordungen. Nur 12% ihrer Fälle löste die Gestapo durch eigene Ermittlungen, 88% durch Denunziation aus der Bevölkerung. Sie war mit 7.000 Mitgliedern bei ca. 60 Millionen Deutschen nicht so allgegenwärtig, wie nach dem Krieg behauptet wurde. Statt die Verantwortung zu übernehmen, schwieg man lieber, verdrängte, vertuschte. Mit fatalen Folgen bis heute.

Der in unseren Tagen wieder erstarkende Antisemitismus wird auf die fehlende Aufarbeitung der eigenen Verbrechensgeschichte zurückgeführt und damit als Abwehrmechanismus enttarnt. Wichtig wäre, hinzuschauen auf die eigenen Familiengeschichten, die Verstörung über deren Taten oder Nichttaten zuzulassen und damit auch den Schmerz und nicht den Rechten nachzulaufen, die wieder mit Ausgrenzungsdebatten, Hass und Hetze und Betonung deutscher historischer Leistungen diesen Schmerz wegwischen wollen.

Wort zum Alltag, November 2025

Dr. Sabine Arend, leitet die Gedenkstätte SS-Sonderlager/KZ Hinzert in Trägerschaft der Landeszentrale für politische Bildung Rheinland-Pfalz und engagiert sich ehrenamtlich in der Pfarrei Glaube-Liebe-Hoffnung Wadern.

 

Literaturempfehlung:

Samuel Salzborn, Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoa im deutschen Erinnern, Berlin/Leipzig 2020

Stephan Leber/Louis Lewitan: Der blinde Fleck. Die vererbten Traumata des Krieges und warum das Schweigen in den Familien jetzt aufbricht, München 2025